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Integration von Menschen mit Flucht- bzw. Migrationserfahrung

Aus der Praxis III

Flüchtlings- und Bürgerdialoge im Mehrgenerationenhaus Stuttgart-Süd

Personen sitzen im Stuhlkreis im Mehrgenerationenhaus Stuttgart-West
© Mehrgenerationenhaus Gebrüder Schmid Zentrum

Interview mit Patricia Sadoun, Eva-Lena Kurz, Bahram Danish, Carola Hägele und Andrea Laux
 

Ohne Dialog ist Fremdsein nicht überwindbar

Das Mehrgenerationenhaus Gebrüder Schmid Zentrum in Stuttgart organisiert Dialogveranstaltungen, die zunächst als Flüchtlingsdialoge angedacht waren und nun zu Gesellschaftsdialogen weiterentwickelt werden. Die offenen Dialoge haben gezeigt, dass Integration am besten gelingt, wenn man miteinander spricht.
 

Miteinander ins Gespräch kommen

Das Stuttgarter Mehrgenerationenhaus Gebrüder Schmid Zentrum ist schon lange ein zentraler Ort für die Menschen im Quartier. Als im Sommer 2015 viele Menschen nach Deutschland geflüchtet sind, wurde das Haus für die neuen Nachbarinnen und Nachbarn schnell zu einer Anlaufanstelle. „Im September waren plötzlich sehr viele Geflüchtete bei uns im Mehrgenerationenhaus und wir waren zu diesem Zeitpunkt noch völlig unvorbereitet“, erzählt Andrea Laux, die Koordinatorin.

Im Quartier wurde schnell klar, dass neue Bedarfe entstanden sind und darauf reagiert werden muss. Damit die Menschen einen guten Start in Stuttgart haben, wollte man schnell mit ihnen ins Gespräch kommen.

Das Staatsministerium Baden-Württemberg hatte 2016 gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung eine Förderung für Dialogprojekte in den Kommunen ausgeschrieben. Das Mehrgenerationenhaus Gebrüder Schmid Zentrum nutzte die Gelegenheit und beteiligte sich am Projekt. „Wir wollten aber keine Veranstaltung machen, bei der Experten auf dem Podium diskutieren und die Menschen im Publikum dann nur schwer miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Carola Hägele, Leiterin des Gebrüder Schmid Zentrums. Andrea Laux ergänzt: „Wir suchten nach einem Format, bei dem die Leute sich wirklich miteinander austauschen.“ Gemeinsam hat man sich dann dazu entschieden, ein World-Café zu organisieren. Dies wurde von der Moderatorin Eva Lena Kurz durchgeführt, die viel Erfahrung mit Dialogveranstaltungen hat. Andrea Laux berichtet stolz: „Wir haben sogar muttersprachliche Moderatorinnen und Moderatoren für Farsi, Arabisch, Türkisch und Englisch gehabt. So hatten fast alle Teilnehmenden ihre eigene Übersetzung und es gab keine Hemmungen, sich zu beteiligen.“
 

Dialog zeigt Vielfalt

Im Oktober fand dann der erste Flüchtlingsdialog statt. Das Thema der ersten Veranstaltung waren Werte und Normen: „In den Gruppen wurden vor allem die Fragen ‚Wie ist es bei Euch?‘ und ‚Wie ist es bei uns? diskutiert“, berichtet Eva-Lena Kurz.

Das Vorbereitungsteam hatte sich entschieden, zwar Fragen für die Gruppendiskussionen zu formulieren, den Moderatorinnen und Moderatoren aber freie Hand bei der Gestaltung der Dialoge zu lassen. „Nur das Oberthema und die Zeiten für die Diskussion waren festgelegt. Ansonsten fanden wir es wichtig, dass die Menschen über das diskutieren, was ihnen wirklich unter den Nägeln brennt“, so Andrea Laux.

Dabei kam es immer wieder zu Momenten, in denen die Teilnehmenden übereinander staunten: „Ein Teilnehmer hat beispielsweise berichtet, dass die Gleichberechtigung in seiner afghanischen Familie teilweise viel weiter sei, als er es hier erlebt“, so Laux. „Interessant war auch, dass wir eine sehr heterogene Gruppe im Mehrgenerationenhaus sind“, so Laux weiter. „Eine hochbetagte Stuttgarterin sagte zum Beispiel in einer Diskussion, in der es um Lebensformen in Deutschland ging, dass sie sich da auch erst dran gewöhnen müsse.“ Für die Geflüchteten zeigte sich, dass auch bei den Einheimischen unterschiedliche Wertvorstellungen vorhanden sind. In solchen Momenten wurde deutlich, dass man sich in vielen Punkten vielleicht gar nicht so fremd ist, wie es zunächst scheint.

Patricia Sadoun ist eine der Moderatorinnen der Dialoge. „Im Mehrgenerationenhaus hat mein Herz einen Platz gefunden. Hier herrscht eine besondere Atmosphäre, die die Menschen miteinander und mit dem Haus verbindet. Die Leute werden durch die Menschlichkeit im Mehrgenerationenhaus getragen und öffnen sich so automatisch füreinander.“ Eva-Lena Kurz pflichtet dem bei: „Üblicherweise sind so gemischte Zielgruppen über Diskussions- und Dialogveranstaltungen nur schwer erreichbar. Im Mehrgenerationenhaus ist das überhaupt kein Problem.“
 

Wer mitmacht, bestimmt auch mit

Auch Bahram Danish ist von Anfang an bei den Dialogen mit dabei. Der 20-Jährige ist vor fast zwei Jahren allein aus dem afghanischen Herat nach Deutschland geflohen. In Stuttgart wurde das Mehrgenerationenhaus schnell zu einem heimatlichen Ort für ihn. Aktuell leistet er hier seinen Bundesfreiwilligendienst und gehört mittlerweile zum Organisationsteam der Dialoge. „Man kommt her und weiß erst mal gar nichts. Beim Dialog kann ich lernen, verstehen und Missverständnisse aufklären. Das ist wichtig, damit ich mir auch eine Meinung bilden kann“, findet Danish und bringt deshalb regelmäßig neue Leute aus den Flüchtlingsunterkünften mit.
Da es bei den Dialogen mittlerweile um alle möglichen Themen und Fragestellungen geht, die die Menschen bewegen, wurde der Name der Dialoge angepasst.  Was als „Flüchtlingsdialog“ gestartet ist, wird als „Gesellschaftsdialog“ weitergeführt.

„Wer sich engagieren möchte, kann an der Planung der Dialoge mitwirken“, sagt Carola Hägele. Das Team vom Mehrgenerationenhaus hat sich selbst dazu verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren jeweils vier Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. „Wir hoffen, dass die Dialoge zu einer Institution werden“, erklärt Laux. 
 

Neue Chance für die gesamte Gesellschaft

Um diese Institutionalisierung zu erreichen, arbeitet das Team gerade an einem Konzept, das den Wert der Veranstaltungen für das Zusammenleben in der Kommune deutlich macht. Damit sollen die Gesellschaftsdialoge in der Kommune verankert werden und auch als Praxisbeispiel für andere Akteurinnen und Akteure nutzbar werden. Patricia Sadoun sieht hierin eine neue Chance für die gesamte Gesellschaft: „Das Wort ‚Willkommenskultur‘, das viele nicht mehr hören können, hat am Anfang den Samen eingepflanzt“, meint Patricia Sadoun, „aber jetzt muss es weitergehen.“ Andrea Laux ergänzt: „Wir glauben wirklich, dass das Projekt Zukunft hat und möchten gerne dazu beitragen, dass sich solche Dialogveranstaltungen verbreiten.“

Wie es weitergehen kann und was man dafür braucht, das Handeln im Mehrgenerationenhaus Stuttgart-Süd die Menschen nun regelmäßig miteinander aus.

Weitere Informationen zum Mehrgenerationenhaus Gebrüder Schmid Zentrum in Stuttgart