Christine Wachtlin
„Ich wünsche mir, dass sich keiner versteckt“
Ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer mit demenzerkrankten Menschen zusammenbringen – das ist die Aufgabe von Christine Wachtlin im Mehrgenerationenhaus Stralsund. Sie koordiniert dort als freiwillig Engagierte den Helferkreis Demenz.
Wie kam es zu Ihrem Engagement im Mehrgenerationenhaus Stralsund?
Ich war 44 Jahre lang Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst, bin dann erkrankt und habe deshalb den Beruf verlassen. Nach meiner Genesung hatte ich aber weiterhin das Bedürfnis, Menschen zu helfen. Durch meine langjährige Erfahrung in der Pflege wusste ich, wie hoch der Bedarf in der Versorgung erkrankter Menschen ist. Ich war während meines Berufslebens bei vielen Patientinnen und Patienten zuhause und habe gesehen, dass mehr und bessere Betreuung unbedingt notwendig ist. Eine Bekannte machte mich daraufhin auf den Helferkreis Demenz im Mehrgenerationenhaus Stralsund aufmerksam, wo ich mich direkt vorstellte.
Welche Aufgaben gehören zu Ihrem Engagement?
Ich koordiniere den Helferkreis Demenz. Das heißt, ich stelle den Kontakt zwischen den Freiwillgen und den Angehörigen beziehungsweise den zu betreuenden Menschen her. Außerdem bin ich für die Abrechnung mit den Pflegekassen zuständig. Wir haben neun Ehrenamtliche, die bei uns tätig sind. Auf die gehe ich zu, wenn sich jemand eine Betreuung wünscht. Sie übernehmen dann stundenweise für die Angehörigen, gehen mit den Erkrankten spazieren, spielen Karten, unterhalten sich, singen miteinander. Alle unsere Freiwilligen haben eine Schulung der Alzheimer Gesellschaft Mecklenburg-Vorpommern durchlaufen, in der sie viel über die Entstehung der Krankheit und ihren Verlauf gelernt haben. Das ist die Grundvoraussetzung, um in diesem Ehrenamt tätig zu sein. Das eigentlich Wichtige entsteht aber im Zusammensein. Und dafür braucht es Sozialkompetenz und Herzblut. Denn es geht ja nicht nur darum, sich zu den Demenezerkrankten zu setzen und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Es bedarf einer echten Zuwendung und das können nicht alle. Beim ersten Kontakt der Freiwilligen und der zu betreuenden Menschen bin ich deshalb immer mit vor Ort und beobachte, wie die beiden aufeinanderzugehen. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Krankenschwester kann ich sehr schnell feststellen, ob das harmonieren wird oder nicht. Denn die Chemie muss schon stimmen.
Was haben Sie durch die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen, den Demenzerkrankten und deren Angehörigen gelernt?
Dass es unfassbar wichtig ist, dass es diese Art von Begleitung gibt. Die Vereinsamung der demenzerkrankten Menschen beginnt schon früh und ist oft bereits sehr ausgeprägt, wenn wir die Betreuung übernehmen. Demenstprechend schwierig ist es am Anfang, die Menschen erst einmal dazu zu bringen, uns überhaupt an sie heranzulassen. Deshalb müsste auch schon viel früher im Krankheitsverlauf etwas getan werden. Hausärztinnen und Hausärzte sollten beispielsweise die Erkrankten und Angehörigen rechtzeitig dazu motivieren, sich Hilfe zu suchen. Oft finden Außenstehende einen ganz anderen Zugang zu demenzerkrankten Menschen als ihre Anghörigen und davon profitieren alle.
Was macht Ihnen Freude an Ihrem Engagement?
Es gibt mir viel, wenn ich sehe, wie die Demenzerkrankten aufleben, wieder in ihren Fähigkeiten aktiviert werden. Wir schaffen es oft, sie aus ihrer Lethargie herauszuholen. Wir organisieren auch drei Feste im Jahr – ein Frühlings-, ein Herbst- und ein Weihnachtsfest. Da singen wir dann viel und damit holen wir die Leute ab – das kann man sich gar nicht vorstellen. Auch Umarmungen lassen die Menschen aufblühen. Das Leuchten in ihren Augen ist ein schöner Dank.
Was würden Sie demenzerkrankten Menschen und ihren Angehörigen wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass sie sich nicht zurückziehen und dass die Angehörigen sich rechtzeitig Hilfe holen. Wir erleben sehr oft, dass sie schon völlig am Boden sind und gar nicht mehr ein und aus wissen. Daher wünsche ich mir auch viel mehr Öffentlichkeit für das Thema und dass sich keiner versteckt. Wir brauchen Sichtbarkeit – auch, damit Betroffene und Angehörige wissen, welche Anlaufstellen es gibt. Im Mehrgeneraitonenhaus haben wir neben unserem Betreuungsprogramm zum Beispiel noch eine Selbsthilfegruppe für Angehörige, die ich auch mitbegleite. Angebote wie diese gibt es, werden aber oft viel zu wenig wahrgenommen. Von den Pflegekassen würde ich mir wünschen, da mehr Initiative zu ergreifen und die Erkrankten und Angehörigen auf Hilfsangebote aufmerksam zu machen und sie zu ermuntern, diese auch zu nutzen.
Über Christine Wachtlin
Christine Wachtlin ist 68 Jahre alt und ausgebildete Krankenschwester. Die Verbesserung der Versorgung demenzerkrankter Menschen und der Pflege allgemein sieht sie als dringende Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
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