Gerd Keil
„Die Leute möchten über Demokratie reden“
Gerd Keil ist in der DDR aufgewachsen. Demokratie ist für ihn keine Selbstverständlichkeit. Mit einem Briefkasten haben er und seine Frau Manuela Keil im MehrGenerationenHaus Celle eine Möglichkeit geschaffen, über das Thema ins Gespräch zu kommen.
Wie entstand die Idee für den Demokratie-Wunsch-Briefkasten? Und wie funktionierte er?
„Die Demokratie wird abgeschafft!“ Diese oder ähnliche Aussagen sind mir während der Coronazeit immer wieder begegnet – in den Medien, aber auch im privaten Umfeld. Ein junges Mädchen aus dem Bekanntenkreis äußerte einmal in einem Gespräch, dass die Demokratie doch etwas Selbstverständliches sei. Meiner Frau Manuela und mir ist in dieser Zeit bewusst geworden, dass das Demokratieverständnis in unserer Gesellschaft sehr weit auseinander geht. Wir wollten wissen: Was verstehen die Menschen unter Demokratie? Und was ist die erlebte Realität? So kam die Idee für den Demokratie-Wunsch-Briefkasten auf. Umgesetzt hat ihn das MehrGenerationenHaus Celle zusammen mit dem Seniorenstützpunkt, gefördert durch die Partnerschaft für Demokratie in Celle. Meine Frau betreute das Projekt als ehrenamtliche Leitung, ich unterstützte sie dabei. Seit Jahresbeginn 2022 bis Dezember 2022 war der Briefkasten im Bistro des Mehrgenerationenhauses aufgestellt. Interessierte konnten dann auf einer Postkarte oder in einem Brief ihre Demokratiewünsche festhalten und einwerfen oder per Post senden. Außerdem ging der Briefkasten auch auf Wanderschaft durch verschiedene Schulen.
Welche Fragen und Impulse konnten Sie durch den Briefkasten sammeln?
Der Rücklauf war schon direkt zu Projektbeginn enorm. Die Leute warfen nicht nur Postkarten ein. Teilweise fertigten sie umfangreiche Briefe und sogar Zeichnungen. Inhaltlich reichte es von „Merkel ist doof“ über differenzierte Gegenüberstellungen – zum Beispiel von der politischen Lage in Afrika und Deutschland – bis hin zu kritischen Nachfragen, warum man in Deutschland überhaupt über Demokratie reden müsste. Es war sehr spannend und wir haben gemerkt: Die Leute möchten darüber reden, selbst diejenigen, die sagen, es sei nicht notwendig. Sonst hätten sie sich ja nicht beteiligt. Deswegen haben wir zwei Workshops organisiert, an denen jeweils über 20 Menschen teilnahmen – Jugendliche, aber auch die ältere Generation, eine bunte Mischung.
Wie haben Sie die Workshops gestaltet? Wie sah der Austausch aus?
Alle sollten und haben mitgeredet. Es war eine offene Gesprächsrunde. Meine Frau und ich berichteten einleitend über unsere eigenen Erfahrungen: Sie war systemtreu in der DDR, ich hingegen oppositionell. Nicht immer waren sich die Leute in der Gruppe einig. Die jungen Menschen wünschten sich mehr Mitsprachemöglichkeiten, die älteren Teilnehmenden forderten die Jugendlichen hingegen dazu auf, von ihren Rechten mehr Gebrauch zu machen. Einem Punkt stimmten aber alle zu: Demokratie kann nur funktionieren, wenn die verschiedenen Generationen sich gegenseitig respektieren, getreu dem Motto: „Die Alten wissen, dass auch sie einmal jung waren und die Jungen achten darauf, dass auch sie einmal alt werden“.
Was können die Mehrgenerationenhäuser und wir alle zur Demokratieförderung beitragen?
Demokratie ist nicht selbstverständlich und sie ist verletzlich. Deswegen müssen wir sie täglich stärken. Die Mehrgenerationenhäuser leisten dabei eine ganze Menge. Sie bringen Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Kulturen zusammen – nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern konsequent im Alltag. Das ist wichtig. Jede und jeder Einzelne kann und muss dazu beitragen, die Demokratie zu fördern. Das geht, indem wir alle aufeinander Acht geben: genau hinhören, genau hinschauen, weil wir sonst nicht mitbekommen, wenn es jemandem schlecht geht. Dabei fällt mir immer wieder das Sprichwort ein: Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.
Warum engagieren Sie sich ehrenamtlich?
Meine Kindheit und Jugend waren nicht leicht. Ich habe sexuellen Missbrauch und politische Haft in der DDR erfahren und eine Zeit lang im Heim gelebt. Meine vertrauten Ansprechpersonen, meine geliebten Großeltern, sind zu früh gestorben. Ich weiß, wie schwer manchmal alles sein kann. Und deswegen bin ich mir auch bewusst, wie unglaublich wichtig es ist, dass wir immer die Augen offenhalten. Nur so können wir wissen: Wie geht es den Menschen um uns herum wirklich? Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Das mache ich durch mein Ehrenamt. Es ist für mich so viel wert, wenn am Ende des Tages nur eine Person sagt: „Mensch, bei dem Gerd konnte ich mich einmal so richtig ausquatschen“. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre die Gesellschaft nicht die, die sie ist.
Zur Person
Gerd Keil ist 59 Jahre alt und gelernter Elektromonteur. Drei Jahre seines Lebens verbrachte er in Stasi-Gefangenschaft, hat die Auswirkungen einer Diktatur selbst erleben müssen. Deswegen setzt er sich nicht nur in seinem Ehrenamt als Helfer im Computertreff, sondern auch als Referent für politische Bildung für die Demokratieförderung ein.
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