Logo Mehrgenerationenhaus - Startseite des Bundesprogramms Mehrgenerationenhäuser
Mehrgenerationenhäuser stärken Familien

„Menschen sind eben keine Maschinen“

Interview mit Prof. Jörg Maywald

Wie profitieren Familien konkret von Freizeit- und Bildungsangeboten? Und in welcher Kombination sind sie besonders effektiv? Prof. Dr. Jörg Maywald von der Deutschen Liga für das Kind spricht im Gespräch über wissenschaftliche Ergebnisse und ordnet die Arbeit der Mehrgenerationenhäuser ein.

Wie profitieren Familien davon, wenn sie regelmäßig an Freizeit- und Bildungsangeboten teilnehmen?

Die Angebote sind sehr unterschiedlich und reichen von offenen Treffs bis hin zu strukturierten Kursen. Deshalb würde ich die Effekte nach drei Ebenen unterscheiden: Die Erste ist der Wissenserwerb, der überwiegend in den Kursen stattfindet. Aus meiner Sicht ist aber die zweite Ebene besonders wichtig, nämlich, dass Eltern etwas von anderen Eltern lernen und sich austauschen können. Sie sehen, vor allem in den offenen Treffs, wie eine andere Mutter oder ein Vater mit einem Kind umgeht. Als dritte Ebene sehe ich die Möglichkeit, sich in schwierigen Situationen vernetzen zu können, sei es mit gleichbetroffenen Eltern oder professionell Tätigen. Die Erfahrung, sich in schwierigen Situationen Hilfe zu holen, ist ein wichtiger Effekt. 

Wie ordnen Sie hier die Angebote der Mehrgenerationenhäuser ein?

Den größten Nutzen sehe ich in einer Kombination aus offenen Treffs und gezielten geschlossenen Gruppenangeboten. Beides für sich genommen hat auch Effekte, aber wenn es zusammen kommt, dann ist es ein ganz besonderer Wert. In Mehrgenerationenhäusern gibt es beides. Es beginnt mit dem Café, einem informellen Austausch, manchmal auch in Anwesenheit von Profis. Das setzt sich dann fort über gezielte geplante Angebote und strukturierte Kurse.

Gibt es Studien, die die Effekte und die Nachhaltigkeit der Angebote belegen? 

Es gibt viele Studien, deren Qualität allerdings sehr unterschiedlich ist. Die bekannteren Projekte haben meistens eine Evaluation, die kurz- oder mittelfristige Effekte zeigen. Allerdings lassen sich die nachhaltigen Effekte eher schwer nachweisen. Häufig zeigt sich, dass Menschen eben keine Maschinen sind. Themen müssen immer wieder aufgegriffen werden und über die gesamte Zeit des Elternseins angeboten werden. 

Gibt es denn Maßstäbe für die Qualität der Angebote? 

Es gibt Meta-Studien, die die Gütekriterien von Elternbildungsangeboten und präventiven Angeboten aufzeigen. Zum Beispiel sind Programme dann besonders erfolgreich, wenn sie die Eltern und das soziale Umfeld erreichen, also im Stadtteil oder der Region Akzente setzen, Treffpunkte schaffen und das gesamte Setting eines Kindes adressieren. Wichtig ist auch, dass Angebote nicht allein auf Einzelpersonen bezogen und dass sie langfristig eingesetzt sind. Außerdem ist eine allgemeine Entwicklungsförderung effektiver, als auf bestimmte isolierte Faktoren wie Verhaltensauffälligkeiten gerichtete Maßnahmen. Ressourcenorientierte Angebote sind effektiver als Angebote, die sich nur auf negatives Verhalten fokussieren. Und natürlich zählt die Professionalität der durchführenden Trainerinnen und Trainer. 

Was trägt dazu bei, dass Familien die Angebote regelmäßig in Anspruch nehmen und in Kontakt bleiben?

Eine längerfristige Anbindung erreichen Sie nur, wenn Sie eine Kombination aus attraktiven Treffpunkten und gezielten thematischen Angeboten hinbekommen. Weder das eine noch das andere allein wird auf Dauer erfolgreich sein. Wie immer im Leben spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Positive Beziehungen zu professionell Tätigen oder Freundschaften zu anderen Familien sind ganz entscheidend. Auch Kinderfreundschaften haben eine besondere Bedeutung und wirken auf die Eltern hin. Denn wenn die Kinder sich zum Beispiel untereinander verabreden, kann das auch die Eltern entlasten.  

Was fällt Ihnen mit Blick auf die Kinder besonders auf?

Nach meiner Erfahrung ist bei den familienorientierten Angeboten oft eine starke Empathie den Eltern gegenüber vorhanden. Das ist auch gut so. Aber die Eltern sollten auch angeregt werden, die Gefühle der Kinder wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Ein junges Kind ist häufig noch nicht in der Lage, sich selbst zu äußern. Es gibt Angebote, die das Thema bewusst in den Fokus rücken. Das sind zum Beispiel Feinfühligkeitstrainings, bei denen Eltern gestärkt werden, die Gefühle ihres Kindes zu achten. Wir sollten als Gesellschaft lernen, das Kind stärker in den Blick zu nehmen und seine Signale wahrzunehmen. 

 

Prof. Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. Außerdem ist er Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam.