Von Dr. Tobias Theel und Lukas Klische (INTERVAL GmbH)
Wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt, gilt nach EU-Definition als armutsgefährdet. Im letzten Jahr traf dies auf etwa 13 Millionen Menschen in Deutschland zu. Das entspricht rund 16 Prozent der Bevölkerung und betrifft somit fast jede sechste Deutsche beziehungsweise jeden sechsten Deutschen.* Laut Statistischem Bundesamt haben Alleinerziehende, Menschen im Ruhestand, Erwerbslose und Familien mit drei oder mehr Kindern ein vergleichsweise hohes Armutsrisiko.
Aktuelle Befragungen im Rahmen der Evaluation** zeigen, dass armutsbezogene Themen und Ängste in den Sozialräumen der Mehrgenerationenhäuser eine große Rolle spielen (siehe Abb. 1). Über 90 Prozent der Koordinatoren und Koordinatorinnen gaben jeweils an, dass steigende Kosten für Lebensmittel (92,2 Prozent) und steigende Kosten für Energie (90,4 Prozent) die Menschen im Umfeld der Mehrgenerationenhäuser beschäftigen. Zudem sahen fast 73 Prozent Zukunftsängste und Sorgen in ihrem Sozialraum. Etwa 63 Prozent gaben konkret Armut und Armutsängste als relevante Themen an und weitere rund 31 Prozent nannten Arbeitslosigkeit beziehungsweise die Sorge vor Arbeitslosigkeit. In den offenen Angaben der Befragung wurden darüber hinaus vielfach hohe und steigende Mietpreise als problematische Entwicklung in den Sozialräumen benannt. Erste Auswertungen zeigen, dass die genannten armutsbezogenen Themen und Ängste häufiger in Mehrgenerationenhäusern in Ostdeutschland sowie strukturschwachen Regionen wahrgenommen wurden.
Die Ergebnisse der Erhebung machen deutlich, dass viele der Mehrgenerationenhäuser bereits spezifische Angebote zu diesen armutsbezogenen Themen umsetzen oder planen, dies künftig zu tun (siehe Abb. 2). In Sozialräumen, in denen diese Themen relevanter sind, werden durch die Mehrgenerationenhäuser auch mehr entsprechende Angebote umgesetzt. Ungefähr ein Drittel der Häuser setzt jeweils Angebote zur Unterstützung bei (drohender) Arbeitslosigkeit um (37,1 Prozent), hilft bei Armut und Armutsängsten (34,1 Prozent) sowie Zukunftsängsten (31,1 Prozent) und bietet Lösungen zur Bewältigung steigender Lebensmittelkosten an (31,7 Prozent). Bemerkenswert ist, dass fast die Hälfte der Mehrgenerationenhäuser (46,9 Prozent) aktuell plant, Hilfsangebote zum Umgang mit steigenden Energiekosten umzusetzen. Viele Häuser wollen darüber hinaus neue Angebote zur Abmilderung steigender Lebensmittelkosten (37,7 Prozent) und zur Unterstützung bei Armut beziehungsweise Armutsängsten (29,7 Prozent) und bei Zukunftsängsten (28,2 Prozent) schaffen.
Vielfach genannte Angebote der Mehrgenerationenhäuser zur Bearbeitung dieser armutsbezogenen Themen sind unter anderem:
- Ausgabe von vergünstigten Lebensmitteln oder Mahlzeiten, gemeinsames Kochen
- Infoveranstaltungen zur Einsparung von Energie- und Lebensmittelkosten
- Repaircafés & Upcycling-Kurse
- Kleiderspenden
- Tauschbörsen
- Vermittlung von Hilfsangeboten
Die Ergebnisse verdeutlichen nach Einschätzung der Evaluation, dass die Mehrgenerationenhäuser lösungsorientiert auf sich verändernde Bedarfe vor Ort reagieren und sehr deutlich sozialraumorientiert arbeiten.