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Chancengleichheit und Teilhabe für von Armut betroffene Menschen – Mehrgenerationenhäuser setzen sich ein

Zusammen stark: „Unser wichtigstes Ziel ist es, Kinder- und Familienarmut zu bekämpfen“

Niedrigschwellig und vertrauensvoll – so läuft die Beratung von einkommensschwachen Familien in den Mehrgenerationenhäusern mit integriertem Familienzentrum ab. Die Landesregierung in Brandenburg fördert diesen Ansatz. Ein Beispiel aus Guben.

Warum fördert das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg seit 2019 Familienzentren und das Vorhaben, diese an Mehrgenerati-onenhäusern aufzubauen?

Dr. Barbara Winde: Unser wichtigstes Ziel der Förderung von Familienzentren im Land Brandenburg ist es, Kinder- und Familienarmut zu bekämpfen. Ein erster Schritt dahin ist, dass einkommensschwache Familien die finanziellen Hilfen erhalten, die ihnen zustehen. Einige wissen aber gar nicht, dass sie beispielsweise Kinderzuschlag oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragen können. Oder die Beantragung ist zu kompliziert. Die Hauptaufgabe der Familienzentren besteht darin, diese Hürden mit niedrigschwelliger Information und Beratung abzubauen, sodass die verschiedenen Unterstützungsleistungen auch ankommen. Der Vorteil, diese Einrichtungen an Mehrgenerationenhäusern anzugliedern – und nicht an Kindertagesstätten, wie das in vielen anderen Bundesländern in bewährter Form erfolgt – besteht darin, dass es den Mehrgenerationenhäusern aus unserer Sicht besser gelingt, alle Familien zu erreichen statt nur die mit kleineren Kindern. Darüber hinaus haben die Mehrgenerationenhäuser bereits die notwendigen Räumlichkeiten und decken teilweise ohnehin schon ein ähnliches Aufgabenspektrum ab.

Kerstin Leutert-Glasche: In der Stadt Guben haben wir schon 1996 damit angefangen, ein Mehrgenerationenhaus aufzubauen, das 2019 in die Bundesförderung aufgenommen wurde. Damals standen die Familien vor zahlreichen Herausforderungen, weil nach der Wende vieles noch sehr unstrukturiert und unsicher war. Anlaufstellen mit Beratungsmöglichkeiten gab es jedoch sehr wenige. Das wollten wir ändern. Durch die Förderung des Familienzentrums im Mehrgenerationenhaus profitieren wir sehr. Wir konnten zum Beispiel unsere Personalstruktur ausbauen und so noch passgenauer auf die Bedürfnisse von Familien eingehen. Das hat zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung unserer Arbeit geführt. 

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie in Guben mit dem an Ihrem Mehrgenerationenhaus integrierten Familienzentrum?

Kerstin Leutert-Glasche: Im Mehrgenerationenhaus Guben verfolgen wir das Kernziel, mit einer möglichst vielfältigen Angebotsstruktur der Familienförderung, -bildung und -beratung bei den unterschiedlichsten sozialen Problemlagen zu unterstützen. Wir wollen Familien bei der Gestaltung und Bewältigung ihres Alltags begleiten – und das in allen Phasen von der Schwangerschaft bis ins hohe Alter. Dabei ist uns wichtig, die Generationensolidarität zu stärken, also dass Jung und Alt gegenseitiges Verständnis aufbringen und sich auf selbstverständliche Art unterstützen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die Kommunalpolitik Familien nicht aus dem Blick verliert. Dabei geht es auch darum, mehr Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. Das ist in unserer strukturschwachen Region besonders wichtig, um Armut auch präventiv anzugehen.

Wie erreichen die Familienzentren gerade einkommensschwache Familien?

Kerstin Leutert-Glasche: Wir werden häufig gefragt, warum die Familien zu uns kommen, aber nicht zum Amt gehen. Das hat mit unserer grundsätzlichen Philosophie zu tun. Wir wollen eine Willkommenskultur schaffen. Die Menschen wissen, dass wir sie hier unabhängig von ihrer Lebenssituation wertschätzend behandeln. Das ist für uns ein wichtiges Qualitätsmerkmal und die entscheidende Voraussetzung, um einkommensschwache Familien niedrigschwellig anzusprechen.

Dr. Barbara Winde: Diese Niedrigschwelligkeit und die Erreichbarkeit im eigenen Sozialraum sind ganz entscheidend. Familien gehen ohnehin in die Mehrgenerationenhäuser, weil sie deren Angebote nutzen. Sie treffen sich dort im Café oder holen sich etwas aus der Kleiderkammer. Und wenn sie schon einmal da sind, bietet sich die Gelegenheit, mit ihnen auf einer bereits bestehenden Vertrauensbasis ins Gespräch zu kommen.

Mit welchen Anliegen wenden sich die Familien an Sie, Frau Leutert- Glasche?

Kerstin Leutert-Glasche: Die Anliegen, mit denen die Familien zu uns kommen, sind so bunt wie das Leben. Es gibt kaum ein Thema des Familienalltags, mit dem wir nicht konfrontiert werden. Aktuell haben die Menschen zum Beispiel Angst, die steigenden Kosten durch die Inflation nicht bewältigen zu können. In solchen Fällen sind wir für viele ein wichtiger Gesprächspartner. Mit uns können sie auch über Dinge reden, die sie im eigenen Familien- oder Freundeskreis aus Scham nicht thematisieren wollen. Das ist aber nur möglich, weil wir unsere Arbeit wertschätzend, stärkenorientiert und niedrigschwellig gestalten.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen den Mehrgenerationenhäusern und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg genau ab?

Dr. Barbara Winde: Wir hatten bereits vor dem Förderzeitraum eine Servicestelle, die für die Mehrgenerationenhäuser zuständig war. Seit 2019 übernimmt sie auch die Zusammenarbeit mit den Familienzentren. Ihre Aufgabe ist es, den Austausch unter den Häusern zu fördern, Best-Practice-Beispiele zu teilen und Treffen sowie Fortbildungen zu organisieren. In der Corona-Zeit haben wir zum Beispiel geschaut, was die Häuser an guten Ideen entwickelt haben, um Familien weiter zu erreichen, und die Ergebnisse dann allen zur Verfügung gestellt. Dies lief in Zusammenarbeit der Servicestelle mit unserem Evaluator, der die Wirksamkeit des Förderansatzes mit einer formativen Evaluation in den Jahren 2020 und 2021 begleitet hat.

Kerstin Leutert-Glasche: Das hat uns sehr geholfen. Gemeinsam konnten wir so sehr schnell neue, passgenaue Angebote entwickeln und für die Familien weiterhin da sein.

 

Zu den Personen

Kerstin Leutert-Glasche ist Geschäftsführerin im Mehrgenerationenhaus „Haus der Familie Guben“. Dr. Barbara Winde leitet das Referat „Familienpolitik“ im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, das die Einrichtung von Familienzentren an Mehrgenerationenhäusern seit 2019 fördert.