Wie haben Sie Kinder bei Ihnen vor Ort beim Homeschooling unterstützt?
Ursula Wieker: Vom engen Kontakt mit unseren Flüchtlingsfamilien wussten wir, dass gerade sie häufig nicht die digitalen Endgeräte zu Hause haben, die die Kinder brauchen, um ihre Hausaufgaben gut bewältigen zu können. Vor Corona hatten wir deswegen bereits Computer-Arbeitsplätze für Schülerinnen und Schüler im Mehrgenerationenhaus eingerichtet. Hier konnten sie ihre Powerpoint-Präsentationen vorbereiten oder im Internet recherchieren. Mit dem Homeschooling hat der Bedarf an digitalen – und darüber hinaus mobilen – Endgeräten schnell zugenommen. Deswegen haben wir bedürftige Kinder mit Laptops ausgestattet. Zuerst haben wir denjenigen Kindern ein Gerät mit nach Hause gegeben, die auch sonst regelmäßig unsere Arbeitsplätze genutzt haben. Dann haben wir auch andere sozial benachteilige Kinder berücksichtigt. Bis heute konnten wir mit 180 Geräten alle bedürftigen Kinder unserer Stadt ausstatten. Darauf sind wir richtig stolz.
Michael Loske: Während der Schulträger lange, bürokratische Wege einhalten muss, um Geräte zu beschaffen, konnte das Mehrgenerationenhaus hier unkompliziert und schnell unterstützen. Das ist aber noch nicht alles. Wir haben immer wieder von Schülerinnen und Schülern gehört, dass sie ihre Schulaufgaben online nicht gefunden haben, weil ihnen die technischen Kenntnisse fehlten. Auch hier hat das Mehrgenerationenhaus geholfen und den Kindern das entsprechende Wissen zur Anwendung der Software vermittelt. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Mehrgenerationenhauses Burgdorf den Laptop ausgegeben haben, sind sie immer mit den Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Schritte durchgegangen: Wie lade ich eine Datei herunter? Wie lade ich sie nach der Bearbeitung wieder hoch? Und wie komme ich in die verschiedenen Chat-Räume? Das war eine große Hilfe.
Wie hat die Zusammenarbeit zwischen dem Mehrgenerationenhaus und dem Gymnasium Burgdorf ausgesehen?
Ursula Wieker: Wir bieten in unserem Haus über das Bildungspaket auch Nachhilfe an. Dadurch arbeiten wir schon immer eng mit allen Schulen in Burgdorf zusammen. Ein wichtiger Teil der aktuellen Zusammenarbeit war der Austausch über die Bedarfe. Als Beratungsstelle für Bildung und Teilhabe haben wir den besten Überblick, wo was fehlt, als Mehrgenerationenhaus kennen wir die Nöte. Ergänzend haben die Lehrkräfte und die Schulleitung Bedarfe aufgedeckt. Die Familien wurden zusätzlich aufgefordert, sich bei uns zu melden. So konnten wir alle Kinder erreichen.
Michael Loske: Der erste Schritt war, an unserer Schule den Bedarf zu ermitteln: Wer ist schon versorgt? Wer braucht zeitnah ein digitales Endgerät, um weiterhin am Unterricht teilnehmen zu können? In gemeinsamer Absprache haben wir dann die Geräte zugewiesen. Das Mehrgenerationenhaus hat dabei einen Großteil der Kommunikation mit den Familien übernommen. Wir hatten hier einen zuverlässigen Kooperationspartner, mit dem die Verteilung reibungslos verlief. Das war sehr wichtig – besonders in Zeiten, in denen eigentlich nichts reibungslos lief.
Sie haben 180 digitale Endgeräte an die Schülerinnen und Schüler ausgegeben. Wie sind Sie an die Geräte herangekommen und wie haben Sie diese finanziert?
Ursula Wieker: Wir als gemeinnütziger Verein erzielen mit der Nachhilfe über Bildung und Teilhabe Einnahmen, die wir in Form von Sachspenden und Leihgaben immer an die Kinder weitergeben. Vor Corona waren das Schreib- und Schulmaterialien als Sachspenden. Jetzt waren es eben Laptops als Leihgaben für die Dauer der Schulzeit. Ein paar Spenden kamen auch dazu. Ein entscheidender Faktor, dass wir davon so viele Geräte kaufen konnten, war, dass wir eine günstige Einkaufsquelle gefunden haben – einen gemeinnützigen Verein, der von Großkonzernen gebrauchte Laptops gespendet bekommt, sie aufbereitet und dann zu verhältnismäßig kleinem Preis weiterverkauft.
Auf welche Herausforderungen sind Sie gestoßen und wie haben Sie diese gelöst?
Ursula Wieker: Für manche Schülerinnen und Schüler ist es nicht damit getan, dass sie einen Laptop zu Hause haben. Gerade sozial benachteiligte Kinder leben oft auf engem Raum mit vielen Familienmitgliedern. In Ruhe zu lernen und an Videokonferenzen teilzunehmen, wird da schnell zur Herausforderung. Mit dem Gymnasium Burgdorf haben wir deswegen das Projekt „Lernzeiten“ ins Leben gerufen. Auch Kinder, die nicht in der Notbetreuung waren, konnten hier zu bestimmten Zeiten mit Anmeldung in die Schule kommen, um an den Rechnern vor Ort zu arbeiten.
Michael Loske: Leider fehlt bei den Verantwortlichen oft die Anerkennung für diese wichtige Arbeit, weil sie die Tragweite für die Gesellschaft und für den Schulbetrieb nicht erkennen. Eine der größten Herausforderungen war deswegen, die Stadt als Schulträger mitzunehmen. Bis heute ist uns das nicht richtig gelungen. Es bleibt zu hoffen, dass Schule und Bildung in Zukunft mit all den sozialpolitischen und gesellschaftlichen Aufgaben wahrgenommen und unterstützt werden.
Wie haben die Familien auf das Angebot reagiert?
Michael Loske: Wir haben immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass die Familien das Angebot als große Hilfe empfunden haben. Sie reagierten mit großer Dankbarkeit darüber, dass wir mit unserer Kooperation einen unkomplizierten und effektiven Weg gefunden haben, um gute Voraussetzungen für Lernprozesse im Homeschooling zu schaffen.
Ursula Wieker: Und wir hören auch von den Lehrerinnen und Lehrern häufig: „Danke! Wenn Sie die Schülerinnen und Schüler nicht ausgestattet hätten, hätten wir sie verloren.“
Aus Ihrer Sicht: Warum war das Angebot so wichtig?
Michael Loske: Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung, allerdings haben nicht alle die gleichen Chancen. Als Bildungseinrichtung besonders, aber auch als Gesellschaft insgesamt, ist es unsere Aufgabe, eine individuelle Lernförderung zu schaffen und zur Chancengerechtigkeit beizutragen. Die Pädagogik darauf auszurichten, ist eine große Herausforderung, bei der verschiedene Institutionen Hand in Hand arbeiten müssen. Das Angebot stellt genau dafür einen Grundpfeiler und dient als gutes Beispiel.
Ursula Wieker: Die Laptops waren in der Corona-Zeit schlichtweg die Tür zur Teilhabe am Bildungswesen. Es war schnelles Handeln gefragt – von der Wahrnehmung der Bedarfe bis zum Plan der Umsetzung, sodass die Hilfe die Betroffenen erreicht. Wir haben für 180 Kinder faire Bildungschancen geschaffen.
Zu den Personen
Ursula Wieker ist Koordinatorin im Mehrgenerationenhaus Burgdorf. Um Kinder vor Ort mit digitalen Endgeräten für das Homeschooling auszustatten, hat sie eng mit Michael Loske zusammengearbeitet, der bis vor Kurzem Schulleiter am Gymnasium Burgdorf war. Heute arbeitet er als schulfachlicher Dezernent im Regionalen Landamt für Schule und Bildung. Dort verantwortet er die Themen Inklusion und Digitales Lernen.