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Neue Perspektiven – Engagement nach dem Berufsleben

Im Gespräch mit Karin Haist: „Babyboomer können viel für die Gesellschaft leisten“

Was passiert, wenn die Babyboomer in Rente gehen? Wo liegt ihr Potenzial für ein gesell-schaftliches Engagement? Und wie können die Mehrgenerationenhäuser es nutzen? Das erklärt Karin Haist von der Körber-Stiftung im Interview.

Welche Erfahrungen prägen die Generation der Babyboomer?

In Deutschland versteht man unter Babyboomern in der Regel die geburtenstarken Jahrgänge – im Kern von 1955 bis 1965. Diese Generation war und ist eine der Vielen. Vom Kindergarten über Schule, Lehrstellen und Studium bis in den Beruf waren die Plätze rar. Andererseits sind die Babyboomer auch die Generation des sozialen Aufstiegs. Sie haben von Bildungsreformen und wirtschaftlichem Aufschwung profitiert und gehen jetzt in der Mehrheit qualifiziert, ökonomisch gut situiert und gesellschaftlich vielseitig aktiv in den Ruhestand. Altersarmut droht vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen ohne volle Erwerbstätigkeit. Aber gerade die Frauen sind insgesamt auch gebildeter und mobiler als ihre Mütter. Eine Folge der sozialen Mobilität: Die Babyboomer haben traditionelle Familienmodelle gesprengt. Rund 27 Prozent werden ledig oder geschieden in Rente gehen. Sie haben weniger Kinder als die Vorgängergeneration oder Kinder, die weit entfernt leben. Im Alter droht ihnen also auch Isolation.

Was verändert sich, wenn diese Generation in Rente geht?

Der Ausstieg der Babyboomer aus dem Erwerbsleben ist ein großes gesellschaftspolitisches Thema – einfach, weil sie so viele sind. Altersarmut beispielsweise wird nicht die Mehrheit betreffen, aber aufgrund der Populationsgröße dieser Generation doch eine Rolle spielen. Dem Arbeitsmarkt werden die Babyboomer und ihre Kompetenzen fehlen. Mit ihnen scheidet in den nächsten Jahren etwa ein Drittel der Arbeitnehmenden aus. Gerade Regionen, in denen der Strukturwandel eine große Rolle spielt und die heute schon einen hohen Anteil Älterer haben, werden stark betroffen sein. Die Kommunen stehen vor großen Herausforderungen, sie verlieren selbst qualifiziertes Personal und müssen darüber hinaus ihre Angebote und Infrastruktur altersfreundlicher gestalten. Und eben, weil die geburtenstarken Jahrgänge gemeinsam altern, werden auch Themen wie Einsamkeit oder perspektivisch Pflegebedürftigkeit vor Ort omnipräsent sein. Ich sehe aber auch Chancen für den lokalen Kontext und die Gesellschaft: Die Babyboomer geben ihre Qualifikationen und Erfahrungen ja nicht mit dem Renteneintritt ab!

Können die Babyboomer einen Beitrag für ein gutes Miteinander leisten? Und wenn sie sich ehrenamtlich engagieren, profitieren sie auch selbst?

Unbedingt. Wer sich bürgerschaftlich engagiert, gewinnt selbst. Es geht um Sinnstiftung, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und um Teilhabe. Gesellschaftliche Partizipation kann dazu beitragen, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben nicht als Bedeutungsverlust zu erleben. Und Engagement bringt soziale Einbindung mit sich, die gerade im Alter wichtig ist, wenn Arbeitskontakte fehlen und der Aktionsradius irgendwann kleiner wird. Wer sich engagiert, wird gebraucht! Und genau das ist eine der wichtigsten Bedingungen für gutes Altern. 

Engagement ist aber natürlich nicht nur Selbstzweck – die Babyboomer haben der Gesellschaft viel zu geben. Das sind nicht nur ihre faktischen Qualifikationen durch gute Bildung und erfolgreiche Arbeitsleben. Sie haben auch selbst soziale Bewegungen und gesellschaftliche Umbrüche mitgestaltet. Sie können sowohl im Kleinen als auch im Großen zur sozialen Innovation beitragen. Beispielsweise durch Nachbarschaftshilfe, Unterstützung anderer Älterer, aber auch Mentoring für Jüngere. Die biografischen Privilegien dieser Generation sind eigentlich auch eine Verpflichtung: Umwelt, Chancengleichheit, gute Bildung, solidarisches Miteinander – das sind Baustellen, bei denen unsere Gesellschaft auch auf die Verantwortung der neuen Alten setzen darf! Und die Bereitschaft zur Verantwortung ist hoch. Die Körber-Stiftung hat vor wenigen Jahren in einer Umfrage festgestellt: Gesellschaftliches Engagement ist für drei Viertel der 50- bis 75-Jährigen denkbar und 78 Prozent von ihnen sind offen für einen Neustart im Alter.  

Wie lassen sich Babyboomer gezielt für ein soziales Engagement ansprechen?

Ein Selbstläufer ist das Engagement der Babyboomer trotz großer Bereitschaft nicht. Denn es zeigt sich bereits, dass das klassische Ehrenamt für diese Generation nicht immer passend ist. Wer Babyboomer einbinden möchte, muss sie möglichst gezielt und mit einem konkreten, vielleicht auch politisch aktuellen Thema ansprechen. Eine Erfahrung ist auch, dass man diese Zielgruppe über ihr Prestige gewinnen kann. Ehemalige Verantwortungsträgerinnen und -träger wollen weiterhin sichtbar und wichtig sein. Hier kann man klarmachen, dass man Leute sucht, die etwas in die Hand nehmen. Und man sollte die Menschen aktiv fragen: Was stellt ihr euch vor? Wo wollt ihr euch einbringen? Ein Weg kann sein, Babyboomer schon im ausgehenden Erwerbsleben gezielt anzusprechen und über Möglichkeiten zum Engagement zu informieren. Es gibt Kommunen, die so etwas tun, aber auch Unternehmen. Lebendige Begegnungsorte wie die Mehrgenerationenhäuser sind für Engagement im Alter ganz entscheidend. Hier können sich Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichem Hintergrund treffen, die sonst nicht zusammenkommen würden. Auf solche Orte vertraue ich sehr.

 

Zur Person

Karin Haist ist Empirische Kulturwissenschaftlerin und im Bereich Alter und Demografie der Körber-Stiftung tätig. Dort verantwortet sie die Projekte demographische Zukunftschancen, wie zum Beispiel „Zugabe“, den Preis für soziale Gründerinnen und Gründer 60plus und das Pro-gramm Alter und Kommune.